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Der Tag class:bicycle=* und seine Verwendung im Projekt LGMaps
Verwendung von class:bicycle=*
Warum überhaupt class:bicycle=*?
Der Tag class:bicycle=* zählt zu den sehr umstrittenen OpenStreetMap-Tags. Die Diskussion im Wiki reicht bis ins Jahr 2010 zurück und wird regelmäßig mit neuen und alten Argumenten befeuert. Hauptkritikpunkt ist die Subjektivität dieses Tags: die OpenStreetMap-Community ist üblicherweise auf größtmögliche Objektivität bedacht - ein schwammig definierter Tag, der je nach Mapper oder Zielgruppe unterschiedlich gehandhabt wird und allein dazu da sein soll, das Fahrradrouting zu verbessern, ist mit dem Ziel der Objektivität nur schwer vereinbar. Stattdessen solle man sich - so das am häufigsten vorgebrachte Gegenargument - beim Taggen besser nur auf die objektiv beschreibbaren Kriterien beschränken (surface, tracktype, maxspeed, highway usw.), um die Abschnitte so detailliert zu taggen, dass ein Routing-Algorithmus aus diesen Angaben die optimale Fahrradstrecke berechnen kann.
Dennoch kann aus unserer Sicht ein solcher Tag wertvoll sein, gerade weil (und nur wenn) er die in den objektiven Tags getroffenen Aussagen um nicht oder nur schwer objektiv beschreibbare Aspekte erweitert. So können zwei Straßenabschnitte, die in allen objektiven Eigenschaften gleich sind, dennoch unterschiedlich attraktiv fürs Radfahren sein: Vielleicht wird einer der Abschnitte häufiger von LKW befahren und ist zusätzlich durch Emissionen eines nahe gelegenen Industriegebiets belastet, während der andere Abschnitt durch ein ruhiges Waldstück an diesem Industriegebiet vorbei führt und dadurch für Radfahrende attraktiver ist. Natürlich ließen sich nahe gelegene Industriegebiete (landuse=industrial) über Puffer berechnen und für das Fahrradrouting ausschließen, aber ist jedes Industriegebiet wiederum störend? Nicht überall treten Emissionen auf. Auch eine erhöhte Verkehrsbelastung ließe sich taggen (z. B. per traffic=heavy), aber auch der hierfür genutzte Tag ist umstritten und bzgl. der angesetzten Werte sicher nicht allgemeingültig nutzbar. Mit dem class:bicycle-Tag könnte man den zu bevorzugenden Weg so kennzeichnen, dass ein Routing-Algoritmus nach Auswertung aller objektiven Tags auf diesen Tag zurückgreift, um die Radfahrenden schließlich am Industriegebiet vorbeizuleiten.
Das Projekt LGMaps hat sich zum Ziel gesetzt, den class:bicycle-Tag stärker als bisher zu systematisieren und diese Systematik flächendeckend im Landkreis Lüneburg zu testen. Die Erfassung im Landkreis (ohne Hansestadt Lüneburg) soll Ende 2024 abgeschlossen sein. Dann liegt für diesen Landkreis ein durchgängig mit dem class:bicycle-Tag versehener Wegenetz-Datensatz vor, der für das Testen von Routing-Algorithmen genutzt werden kann (z. B. zum Vergleich von Routenberechnungen mit und ohne den class:bicycle-Tag). Dabei soll der Tag das subjektive Empfinden eine:r durchschnittlichen Fahrradfahrer:in wiederspiegen; er bildet also im hier beschriebenen Fall das alltägliche Radfahren zu gewöhnlichen Tageszeiten sowie bei durchschnittlichen Wetterbedingungen ab und schließt damit spezielle Zielgruppen wie Mountainbike-Fahrer:innen, Kinder oder Rennradler:innen explizit aus. Für diese durchschnittliche Fahrradfahrer:in wurde ein dreistufiges Bewertungsschema entwickelt, mit dem die im Wiki beschriebenen class:bicycle-Werte von +3 bis -3 errechnet werden können, ohne dass sie im Ergebnis von den im Wiki beschriebenen Aussagen abweichen. Die Bewertung erfolgt also nur stärker systematisiert, außerdem immer nur im Vergleich zu anderen Wegen in der jeweils betrachteten Region und soll so sicherstellen, dass vergleichbare Wege auch vergleichbar bewertet werden.
aktuelles Vorgehen seit 2023: Aktuelle Version des LGMaps-spezifischen Schemas für class:bicycle=*
Im Projekt LGMaps werden für die Bewertung von Wegeabschnitten mit dem class:bicycle-Tag seit 2023 Positiv- und Negativszenarien genutzt, sodass ein Verrechnen relevanter mit weniger relevanten Bewertungsaspekten erschwert und die Vergabe der Werte stärker homogenisiert wird. Die Wege werden dabei wie schon in den vorangegangenen Projektphasen in drei Schritten bewertet. Die Vergabe der Werte erfolgt aufeinander aufbauend stufenweise zunächst anhand des Verkehrs- und Konfliktaufkommens direkt auf dem genutzten Abschnitt (Stufe 1, "Tunnelblick") und anschließend (Stufe 2, "Fernblick") für die mittelbare Umgebung des Abschnitts. Wird für Stufe 1 und 2 insgesamt ein Wert von -2 oder +2 erreicht und ist der Abschnitt durch Extremausprägungen auf Stufe 1 oder 2 ganz besonders schlecht oder gut zum Radfahren geeignet, können die Bewertungen auf -3 oder +3 erhöht werden (diese Extremwerte sollten jedoch sparsam eingesetzt werden).
Das unten abgebildete Schema wird seit 2023 (Phase VI) eingesetzt und durch am Projekt LGMaps beteiligte Studierende auf seine Praxistauglichkeit geprüft. Im Unterschied zu den vorangegangenen Versionen des Schemas wird hier noch stärker darauf geachtet, dass nur Wege bewertet werden, die mit einem durchschnittlichen Rad (Citybike oder vergleichbar) befahren werden können. Die Wege sollten also i. d. R. befestigt sein oder einen mindestens mit tracktype=grade3 vergleichbaren Ausbaustandard aufweisen.
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Vorgehen 2019-2022
In den ersten Projektphasen (2019-2020) wurde class:bicycle=* nach dem im Wiki beschriebenen, einfachen Schema eingesetzt. Demnach sollten die Werte für diesen Tag wie folgt vergeben werden:
- class:bicycle=-3: Unter allen Umständen vermeiden!
- class:bicycle=-2: Nur für kürzere Strecken nutzen oder um das Ziel zu erreichen.
- class:bicycle=-1: Wenn möglich, lieber einen anderen Weg nehmen.
- Vermeide "0" und nutze lieber "-1" oder "1".
- class:bicycle=1: Dies ist ein bevorzugter Weg.
- class:bicycle=2: Ziemlich schöner Weg zum Radfahren
- class:bicycle=3: Hervorragender Weg, für den es sich lohnt, Umwege zu nehmen!
Auf Basis der im Seminar zum Projekt LGMaps geführten Diskussionen über diesen Tag und seine Anwendbarkeit wurde für die folgenden Projektphasen ein Schema entwickelt, das die Bewertung stärker systematisieren sollte. Das in Phase IV und V (2021, 2022) genutzte Schema ist hier abgebildet:
Dieses Schema erwies sich gerade für Neueinsteiger:innen im Projekt LGMaps als sehr hilfreich. Wurde ein Streckenabschnitt von mehreren Personen nach diesem Schema bewertet, ermittelten sie überwiegend gleiche oder nur sehr gering abweichende Werte. Dennoch verleitet das Schema dazu, Kriterien innerhalb einer Ebene gegeneinander aufzuwiegen. Um zu vermeiden, dass z. B. Sicherheitsaspekte mit eher nachgeordneten Faktoren wie der Attraktivität der Umgebung verrechnet werden, wurde bis Ende 2022 eine abgewandelte Version dieses Schemas entwickelt, das ab 2023 angewandt wurde (siehe Abschnitt zum aktuellen Vorgehen).